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CTH 429.1

Citatio: B. Christiansen (ed.), hethiter.net/: CTH 429.1 (INTR 2017-02-07)

Ein Ritual der Ambazzi gegen Verleumdungen

(CTH 429.1)

Textüberlieferung

A

KBo 10.37

273/p

+ 321/p

+ 448/p

B

KBo 13.121

757/t

= A Rs. III 4-15

C

KBo 48.43

572/t

= A Vs. I 20'-49'

D

KBo 51.36

389/u

= A Vs. I 39'-62', Rs. IV 27-49

E

KBo 51.37

514/u

= A Rs. III 49-58

F

KBo 55.40

424/z

= A Vs. II 7'-14'

G

Unpubliziert

Bo 4275

= A Vs. I 24'-32'

Von der vierkolumnigen Tafel KBo 10.37 ist die Vs. I fragmentarisch in 62 Zeilen erhalten, wobei der Beginn des Textes fehlt. Darüber hinaus fehlt durchgängig der Zeilenanfang, wobei ab Zeile 18 und dann bis Zeile 62 das jeweilige Zeilenende erhalten ist. Vom Mittelteil der Vs. I fehlen ebenfalls größere Partien. Von der Vs. II sind die letzten 52 Zeilen teilweise erhalten, wobei nur wenige Zeichen am Ende der Zeilen fehlen.

Von Rs. III sind 62 Zeilen fragmentarisch erhalten, wobei in der ersten Hälfte der Mittelteil von Z. 15-38 fehlen. Die Rs. IV umfasst 50 fragmentarisch erhaltene Zeilen sowie einen vierzeiligen Kolophon. Von letzterem sind die Zeilenenden abgebrochen, die jedoch zum Teil ergänzt werden können. Die Anfänge der vorausgehenden Zeilen sind durchgehend weggebrochen und auch vom Mittelteil fehlen große Stücke. Ab Zeile 54 ist die Rs. IV schriftlos.

Von der vielleicht ursprünglich vierkolumnigen Tafel KBo 13.121 hat sich lediglich ein 11-zeiliges Fragment des Mittelteils erhalten.

Von der Tafel KBo 48.43, die möglicherweise ebenfalls vierkolumnig war, sind lediglich die Anfänge von 24 Zeilen erhalten.

Von KBo 51.36 haben sich nur 24 Zeilenanfänge auf der Vs. sowie 17 auf der Rs. erhalten. KBo 51.37 liefert zehn fragmentarische Zeilen, und KBo 55.40 stellt ein kleines Bruchstück mit sieben fragmentarisch erhaltenen Zeilen dar. Der Textvertreter Bo 4275 weist zehn fragmentarisch erhaltene Zeilen auf.

Editionsgeschichte

Der Haupttext 273/p + 321/p + 448/p wurde bei Grabungen von 1957 im Archiv K von Büyükkale unter Schutt gefunden. Die zugehörig Autographie wurde von H. G. Güterbock und H. Otten erstellt und 1960 in KBo 10 unter der Nummer 37 veröffentlicht. Textfragment 757/t befand sich im Bereich des Hauses am Hang. Dort wurde es 1961 unter dem Schutt der Makridi-Halde gefunden, die sich vor dem Haus befindet. H. Otten fertigte eine Autographie an, die 1967 in KBo 13 unter Nummer 121 publiziert wurde. Der Textteil 572/t stammt aus der byzantinischen Schicht der Unterstadt von Ḫattuša. Er wurde während derselben Grabung wie 757/t in K/17, Schnitt Y, Abschnitt IV gefunden. Autographiert und veröffentlicht wurde die Tafel 2007 von H. Otten, C. Rüster und G. Wilhelm in KBo 48 unter der Nummer 43. Die Fragmente 398/u und 514/u wurden im Bereich des Tempels I im alten Grabungsschutt des Areals L/19 gefunden und beide von M.-C. Trémouille unter den Nummern 36 und 37 in KBo 51 2009 publiziert. 424/z stammt ebenfalls aus dem Bereich des Großen Tempels, aus dem alten Grabungsschutt von Magazin 26 und wurde von H. Otten im Jahre 2011 als KBo 55.40 publiziert. Der Fundort des unpublizierten Fragments Bo 4275 ist unbekannt.

Eine Bearbeitung mit Transliteration, englischer Übersetzung und knappen Kommentaren hat Haroutunian H. 2003a, 149-168 vorgelegt. Die neueste Bearbeitung des Textes erfolgte durch Birgit Christiansen B. 2006a, 177-272 im Rahmen einer Gesamtbearbeitung aller Texte, die der ritualkundigen Frau Ambazzi zugeschrieben werden (CTH 391, CTH 429 und CTH 463). Die zuletzt genannte Bearbeitung liegt der vorliegenden Transliteration und Übersetzung zugrunde und wurde nur geringfügig verändert. Die Bedeutung einzelner Wörter und Passagen werden zudem in einem Aufsatz von Harry A. Hoffner aus dem Jahre 2004 (Hoffner H.A. 2004d) sowie in einem Aufsatz von Birgit Christiansen (im Druck) ausführlich diskutiert.

Inhalt und Ritualindikation

Dem Kolophon (230'-233', Rs. IV 51-54) sowie dem Tafelkatalogeintrag KBo 10.6 Vs. I 3-4 zufolge kommt das Ritual zur Anwendung, wenn ein Mensch gegenüber den Göttern böse über eine andere Person redet oder sie [verflucht(?)]. Im Ritualtext selbst wird der Ritualmandant als Kind (DUMU) ausgewiesen (siehe z.B. §5' 17', §6' 29' und §9 59'). Die Ritualhandlungen dienen dazu, das Kind von dem üblen Gerede und dem dadurch hervorgerufenen Unheil zu befreien und die Götter dem Kind gegenüber gnädig zu stimmen. In verschiedenen Passagen wie insbesondere in KBo 10.37 Vs. I 58'-62'; Vs. II 20'-26' und Rs. III 46-49 wird der Zustand des Kindes näher beschrieben. Einige Wörter und Aussagen sind dabei jedoch unklar und wurden in der Forschung unterschiedlich interpretiert. Während das Ritual nach Hoffner H.A. 2004d zur Behandlung eines neugeborenen Kindes bestimmt ist (siehe vor allem S. 347-351), vertritt Christiansen (im Druck) ebenso wie in ihrer Bearbeitung aus dem Jahre 2006 sowie Haroutunian H. 2003a die Ansicht, dass das Ritual in seiner ursprünglichen Form für ein älteres Kind vorgesehen ist, das verleumdet wurde und infolgedessen erkrankt ist. Später wurde die Anwendung offenbar auf jeglichen Menschen ausgedehnt, der verleumdet wurde (siehe den Kolophon von CTH 429.1, Fragment G 1' sowie den Tafelkatalogeintrag). Mit CTH 429.2 (KBo 13.156) liegt zudem eine Version zur Behandlung mehrerer Kinder vor. Die abweichenden Interpretationen von Haroutunian H. 2003a; Hoffner 2004 sowie Christiansen B. 2006a und Christiansen (im Druck) beruhen vor allem auf Differenzen in der Deutung der Phrasen DUMU-aš aiš=mit! tar(a)šganiyauwanza und arrišš(a) šēḫuganiyauwanza in Rs. III 46-49 par. Vs. I 58'-62' (ergänzt) und Vs. II 21'-26'. Nach Hoffner 2004 und ihm folgend CHD Š, 350 s.v. šeḫuganiyawant- bezeichnet erstere, dass der Mund des Kindes mit Kolostrum bzw. Erstmilch beschmiert ist, während letztere zum Ausdruck bringt, dass der After des Kindes mit Mekonium behaftet ist. Nach Haroutunian 2003, 161; Christiansen 2006, 203 und Christiansen (im Druck) bezeichnet tar(a)šganiyauwanza hingegen ein Behaftetsein mit Schleim bzw. schaumigem Speichel und šēḫuganiyauwanza ein Behaftetsein mit Urin. Die Aussage šakki[ UL kuitki] wemiyaz<zi>=ya=kan UL kui[tki] interpretieren Haroutunian H. 2003a, 169; CHD Š, 25 s.v. šak(k)- 1 b 3' a' und Christiansen B. 2006a, 195 dahingehend, dass das Kind nicht weiß, was es falsch gemacht hat und die Ursache seines Leidenszustands nicht herausfinden kann. Nach Hoffner 2004, 349 bringt die Äußerung hingegen zum Ausdruck, dass das Kind die Welt um sich herum noch nicht kennt und sich der Geschehnisse um sich herum noch nicht bewusst ist. Christiansen (im Druck) wiederum hält es vor dem Hintergrund der übrigen Beschreibungen für naheliegender, dass die Aussagen auf Bewusstseinsstörungen des Kindes Bezug nehmen. So sprechen ihres Erachtens die über den Mund und After des Kindes getroffenen Äußerungen ebenso wie die an die Götter gerichteten Bitten um „Energie(?) des Windes, Mut, Arm(kraft)(?) und Spannkraft(?) sowie ein festgefügtes Knie“ (Vs. II 23'-26') dafür, dass das Ritual für ein Kind bestimmt ist, das an Epilepsie leidet bzw. einen generalisierten epileptischen Anfall erlitten hat. Gegen die Deutung von Hoffner 2004 führt sie außerdem den Heilswunsch in Rs. III 14-17 an, in dem die Götter gebeten werden, dem Kind wieder (appa) Gesundheit, Kraft etc. zu verleihen, sowie die Tatsache, dass in Rs. III 22 das Kind offensichtlich selbst als Sprecher auftritt. Das in Rs. III 48 bezeugte Partizip kaliliyanza ist nach Haroutunian H. 2003a, 161; Christiansen B. 2006a, 203 und Christiansen (im Druck) wahrscheinlich in übertragenen Sinne zu verstehen, indem es ein Gebundensein des Kindes durch die Verleumdungen zum Ausdruck bringt. CHD Š, 350 s.v. šeḫuganiyawant‑ folgt hingegen Hoffners Gesamtinterpretation und spricht sich für eine konkrete Bedeutung „(in Windeln) gewickelt“ aus.

Gliederung

§ 1'-4'

Einleitung und Vorbereitung des Rituals (teils in 1. und teils in 3. Person).

§ 5'-9'

Der Ritualmandant (ein Kind) wird eingeführt. Die rituelle Reinigung von den Verleumdungen bzw. dem bösen Gerede wird an ihm mit folgenden Mitteln, deren Anwendung je ein zugehöriger Spruch folgt, vollzogen:

Behandlung mit vier Fäden, einem weißen āštagga, einer Bogensehne und mit einem Leinenfaden, die dann teils in den guten paddur-Behälter oder in den paddur-Behälter des Zorns gelegt werden.

Letzterer wird am Ende der Ritualhandlung über dem Knaben geschwenkt. Es folgt eine Götteranrufung, in der die Unschuld des Kindes betont wird und um Mitleid gefleht wird.

§ 10'-15'

Weitere Riten, mit denen das Kind vom Bösen befreit werden soll: Das Böse wird mit Bogen und Pfeil weggeschossen, auf einem Feld vergraben und in das Futter verschiedener Tiere „geleitet“. Außerdem wird der gute paddur-Behälter über dem Kind geschwenkt. Die manuellen Riten werden von Ritualsprüchen begleitet. Dabei werden die Götter u.a. angerufen, das Böse wegzuschaffen und dem Kind wieder Gesundheit und Mut zu verleihen.

§ 16'-34'

Opfergaben an die Götter, die das Böse vom Kind fernhalten sollen. Begleitend zu den Handlungen werden die Götter angerufen, das Kind vor dem Bösen zu schützen. Zudem wird der Wunsch zum Ausdruck gebracht, dass sich das Böse auf denjenigen, der böses spricht oder das Kind verflucht, zurückwenden soll.

Kolophon mit Angabe der Ritualindikation in 1. Person

Verfasser- bzw. Urheberschaft und traditionsgeschichtliche Einordnung

Im Ritualtext selbst ist der Name der ritualkundigen Person, der das Ritual zugeschrieben wird, nicht erhalten. Vermutlich erfolgte seine Nennung wie in anderen Ritualtexten im Incipit, das nur noch fragmentarisch erhalten ist. Im Tafelkatalogeintrag KBo 10.6 Vs. I 3-4 wird das Ritual einer Frau namens Ambazzi zugewiesen. Dem Namen folgt eine Apposition, die die Frau wohl näher als Gemahlin eines gewissen Hauniya ausweist (die betreffenden Zeichen sind stark beschädigt und schwer lesbar; zur genannten Lesung siehe Christiansen 2006, 179, anders Dardano 2006, 82, die die Lesung MUNUS URU? Arzawiya „Frau aus Arzawa“ vorschlägt). Ein weiteres Ritual, das als Ritual der Ambazzi ausgewiesen wird, ist CTH 391.1 KUB 9.25+KUB 27.67 (und Duplikate). Außerdem wird möglicherweise auch das Ritual gegen böse Vorzeichen CTH 463 als Ritual der Ambazzi ausgegeben. Vom Namen der Ritualkundigen, die näher als MUNUSŠU.GI „alte Frau“ bezeichnet wird, ist jedoch nur die Endung -azzi erhalten (siehe dazu Christiansen 2006, 288, 309). Während die unter CTH 391 und CTH 429 gebuchten Ritualtexte mehrere inhaltliche Gemeinsamkeiten aufweisen, die für einen traditionsgeschichtlichen Zusammenhang sprechen, weicht CTH 463 von beiden Texten stark ab. So sind die in CTH 463 genannten Vorzeichen vermutlich auf babylonische Traditionen zurückzuführen, während CTH 391 und CTH 429 dem westanatolisch-luwischen Traditionskreis zuzuweisen sind (siehe dazu Christiansen 2006, 322f.).

Datierung

Paläographische Merkmale weisen die Niederschrift als junghethitische Niederschrift des 13. Jahrhunderts aus, während sprachliche und „orthographische“ Merkmale dafür sprechen, dass der Ritualtext bereits in vorgroßreichszeitlicher Zeit entstanden ist.

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© Universität Mainz – Institut für Altertumswissenschaften, Abteilung Altorientalische Philologie


Editio ultima: 2017-02-07






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